Der Monat Mai wird jedes Jahr der psychischen Gesundheit gewidmet. Während dies eine wunderbare Erinnerung daran ist, innezuhalten und über die Bedeutung von Selbstfürsorge nachzudenken, sollte psychische Gesundheit das ganze Jahr über Priorität haben. Diese Reihe englischsprachiger Artikel lenkt das Augenmerk auf die Themen, die Unternehmer:innen täglich betreffen – sowie auf Lösungen und Ressourcen, die helfen, dein Wohlbefinden an erste Stelle zu setzen.
Monisha Edwards (Link auf Englisch) leitete ihre eigene erfolgreiche Branding-Agentur, als das Unvorstellbare geschah: Ihr Vater wurde verletzt, und sie wurde seine Pflegerin. Der Stress der neuen Rolle brachte zugrunde liegende Ängste und Depressionen zum Vorschein. Ihre Kreativität schwand, und sie hatte Schwierigkeiten, aus dem Bett zu kommen.
Depression ist eine der häufigsten Ursachen für Behinderungen, so die WHO. Die Organisation hat auch berichtet, dass die globale Prävalenz von Depressionen und Angstzuständen im ersten Jahr der Pandemie um 25 % gestiegen ist. Unternehmer:innen wie Monisha sind davon nicht ausgenommen – selbst wenn sie normalerweise in den risikobehafteten Bedingungen der Selbstständigkeit gedeihen.
Studien zeigen tatsächlich, dass Unternehmer:innen oft höhere Werte bestimmter psychischer Symptome im Vergleich zur allgemeinen Bevölkerung berichten. In dieser Gruppe können Isolation, Mangel an Ressourcen und der Druck, die Hustle-Kultur zu übernehmen, zur enormen Belastung werden.
Drei Expert:innen, die an der Schnittstelle von psychischer Gesundheit und Unternehmertum arbeiten, haben mit uns über die Ursachen und Auswirkungen von psychischen Gesundheitsproblemen bei Gründer:innen gesprochen – sowie über ihren Optimismus für die Zukunft.
Überarbeitung als Bewältigungsmechanismus
Chivon John ist die Global Wellness Lead bei Shopify und führt nebenbei ihr eigenes Unternehmen. Sie sträubt sich gegen den Ausdruck: „Wenn du tust, was du liebst, musst du nie wieder einen Tag arbeiten.“
Ihrer Erfahrung nach ist oft das Gegenteil der Fall. „Je leidenschaftlicher und engagierter du bist, desto mehr musst du darauf achten, einen Burnout (Artikel auf Englisch) zu vermeiden, denn du wirst nicht unbedingt die nötigen Schutzmaßnahmen ergreifen“, sagt sie.
In ihrer Arbeit als Business-Coach und psychische Gesundheitsanwältin hat Nora Rahimian (auf Englisch) dasselbe bei ihren Klient:innen beobachtet. Sie hilft Unternehmer:innen, Stress und Burnout zu mindern, indem sie ihnen zeigt, wie sie ihre Unternehmen kreativ führen und den Druck mindern können, die Hustle-Kultur zu übernehmen. „Die Hustle-Kultur kann eine Reaktion auf diesen Stress sein“, sagt sie, „denn wenn ich immerzu hustlen kann, fühle ich mich mächtig.“
Das galt auch für Stacey Moss. Die Gründerin von Moss Botanicals (auf Englisch) sah zu, wie ihr Zuhause und ihr Geschäft in einem Waldbrand in Kalifornien niederbrannten. „Direkt nach dem Brand war ich im ‚Go-Modus‘“, sagt sie. „Die Trauer kam erst sechs Monate später.“ In Krisensituationen reagieren Unternehmer:innen auf die Weise, die ihnen vertraut ist: Sie arbeiten härter.
Die Hustle-Kultur, die in den Geschichten von Startup-Leiter:innen verbreitet ist, hat immer noch einen starken Einfluss auf Geschäftsinhaber:innen. „Es gibt dieses Gefühl, dass du nicht pausieren oder vom Gas gehen kannst. Du sollst ständig in Bewegung sein“, sagt Chivon. „Es sagt dir niemand, dass du eine Pause machen sollst.“
Genau dieser Druck, mit allen Schritt zu halten, betrifft einige Gruppen stärker als andere. Gerade für Frauen ist die psychische Belastung oft höher, wenngleich sie statistisch gesehen 44 % weniger verdienen als selbstständige Männer. Obwohl sich das Gleichgewicht allmählich verbessert, lastet die Hauptlast der „informellen Pflege“ immer noch auf Frauen.
Obwohl die Pandemie sicherlich einige dieser Herausforderungen hervorgehoben hat, war sie nicht der einzige Faktor, der die psychischen Gesundheitsraten in bestimmten Gruppen beeinflusst hat. „Es gibt so viele intersektionale Ebenen“, sagt Chivon. Dazu gehören „rassifizierte Menschen, die stärker von COVID betroffen sind, die politischen Unruhen, der Anstieg rassistischer Handlungen und Hassverbrechen.“
Warum Burnout nicht ignoriert werden sollte
Sherry Walling, PhD, eine klinische Psychologin, die mit Unternehmer:innen arbeitet, warnt, dass Burnout viel ernster ist, als es klingt. „Burnout ist im Wesentlichen eine wiederholte Stressverletzung, bei der wir dieselben neurologischen Schaltkreise immer wieder verwenden“, sagt sie. „Es ist Hirnschaden. Wir können es sichtbar auf einem FMRI sehen, bei jemandem, der hohe Burnout-Werte hat.“
Für Gründer:innen mit wachsenden Teams können die Auswirkungen unbeabsichtigt ansteckend sein. „Wenn du deinen Chef zu allen Zeiten online siehst und er keinen Urlaub nimmt, sendet das die Botschaft: ‚Oh, sollte ich dann auch keine Pause machen?‘“, sagt Chivon. „Führungskräfte setzen den Ton.“
Burnout ist im Wesentlichen eine wiederholte Stressverletzung, bei der wir dieselben neurologischen Schaltkreise immer wieder verwenden. Es ist Hirnschaden.
Sherry Walling
Aber oft zwingt das Stigma dieselben Führungskräfte, ihre Verwundbarkeit zu verbergen oder Hilfe zu vermeiden. „Wenn du ein Unternehmen leitest, und die Leute dich als jemanden wahrnehmen, der oder dem es nicht gut geht, werden sie dir weniger vertrauen und damit weniger bereit sein, deinem Führungsstil zu folgen“, sagt Sherry. „Wenn es dir nicht gut geht, gibt es diese wahrgenommene Verwundbarkeit im Unternehmen.“
Da Depression als eine der häufigsten Ursachen für Behinderungen gilt, ist sie auch eine der Hauptursachen für Arbeitsausfälle. Daher empfiehlt Sherry, dass Gründer:innen von Anfang an in das Wohlbefinden des Teams investieren.
„Sobald dein Unternehmen groß genug ist, um ein Fitnessstudio oder eine Mitgliedschaft bei BetterHelp [oder für Deutschland Hello Better] zu unterstützen, sind das wirklich gute Investitionen, um deine Mitarbeitenden produktiv, gesund, fokussiert und kreativ zu halten“, sagt sie.
Zugangshürden für Gründer:innen
Vor COVID bedeutete der Besuch einer Therapeutin bzw. eines Therapeuten normalerweise, einen Termin zu buchen, mit dem Auto oder öffentlichen Verkehrsmitteln zur Praxis zu fahren, den Termin wahrzunehmen und dann nach Hause zurückzukehren. „Zwei Stunden am Tag sind für die meisten Unternehmer:innen ziemlich herausfordernd“, sagt Sherry. Ein Mangel an Fahrzeugen oder zuverlässigem Zugang zu öffentlichen Verkehrsmitteln macht dies noch schwieriger.
Virtuelle Verbesserungen, die durch Lockdowns erzwungen wurden, haben in den letzten Jahren zugenommen und viele Zeit- und Reisehindernisse beseitigt. Aber andere Herausforderungen bestehen weiterhin. „Viele Unternehmer:innen haben nur die Versicherung, die sie schützt, wenn sie von einem Truck angefahren wurden, und keine gute psychische Gesundheitsversorgung“, sagt Sherry. Sie weist auch auf die Passung zwischen Patient:in und Anbieter:in hin. „Es gibt eine einzigartige Psychologie, die die Beziehung von Unternehmer:innen zu ihrem Geschäft bestimmt, mit der viele Ärzt:innen vielleicht nicht so vertraut sind.“
Während die Nachfrage nach spezialisierten Dienstleistungen und Ressourcen für unterrepräsentierte demografische Gruppen dazu beiträgt, Veränderungen voranzutreiben, ist das Stigma in einigen Gemeinschaften immer noch tief verwurzelt. „In der schwarzen Gemeinschaft verachten wir psychische Gesundheit“, sagt Monisha. „Wir glauben nicht wirklich daran, eine Therapeutin oder einen Therapeuten aufzusuchen, denn das ist etwas für reiche Leute. Und Medikamente zu nehmen? Das heißt dann gleich, dass du verrückt bist.“
Nora hat das Gleiche erlebt. „Als ich das erste Mal zur Therapie ging, sagte meine Mutter: ‚Erzähl das bloß niemandem‘“, sagt sie. „Und sie ist selbst Therapeutin.“
Dieses Stigma kann auch dazu führen, dass bestimmte Aspekte der psychischen Gesundheit unnötig pathologisiert werden, sagt Sherry. „Manchmal sind diese Dinge tatsächlich sehr, sehr hilfreich für Unternehmer:innen“, sagt sie und verweist auf hohe Raten von Konditionen wie ADHS unter Unternehmer:innen. „Die Fähigkeit, schnell zwischen vielen Dingen hin und her zu springen, ist super nützlich, wenn du ein Start-up gründest. Diese Art von Gehirn eignet sich sehr gut für das Unternehmertum.“
Gespräche inspirieren zum Handeln
Die positive Seite dieser zunehmenden Herausforderungen – kollektive Isolation, die wachsenden Anforderungen der Pflege und die Unsicherheit am Arbeitsplatz – ist, dass die Menschen endlich bereit sind, offen darüber zu sprechen. Dies ermöglicht es, Maßnahmen zu ergreifen.
„Dieser Moment hat wirklich deutlich gemacht, wie sehr unser Wohlbefinden am Arbeitsplatz sichtbar wird“, sagt Chivon. „All die Dinge, die hinter verschlossenen Türen stattfanden, stehen jetzt im Vordergrund.“
Psychische Gesundheit war ein begleitender Faktor zur Great Resignation (also der großen globalen Kündigugnswelle – hier auf Englisch) – einem Phänomen, das zu einem 20-Jahres-Hoch bei Jobverlusten zu Beginn der Pandemie führte. Die Gründe? Fehlende Flexibilität bei den Arbeitszeiten, geringe Entlohnung und ein Mangel an Respekt von Seiten der Führungskräfte als Hauptgründe ihrer Kündigung.
Es gibt dieses Gefühl, dass du nicht pausieren oder vom Gas gehen kannst. Du sollst ständig in Bewegung sein. Es sagt dir niemand, dass du eine Pause machen sollst.
Chivon John
Gleichzeitig sah sich die Hustle-Kultur mit einer Gegenreaktion (auf Englisch) konfrontiert, da viele Millennials massenhaft ihre Unternehmensjobs aufgaben. Einige wählten das Unternehmertum als Alternative zur traditionellen Arbeit, was zu einem Anstieg der Unternehmensgründungen (auf Englisch) während der Pandemie führte. Andere folgten der FIRE-Bewegung (auf Englisch) und strebten finanzielle Unabhängigkeit nach ihren eigenen Bedingungen an. „Dieses Maß an Unsicherheit hat hervorgehoben, dass wir nach Handlungsspielraum streben“, sagt Chivon.
Sowohl um dein Unternehmen als auch um dich selbst kümmern
Es gibt keinen Grund, sich der konventionellen Art, ein Unternehmen zu führen, zu unterwerfen, sagt Nora. „Übernachtiger Erfolg“ ist ein unrealistisches Bild des Unternehmertums und führt häufig zu Burnout und Misserfolg.
Monisha erkannte das auf die harte Tour. Sie setzte sich schließlich mit ihren psychischen Gesundheitsproblemen auseinander und entschied sich, das Wohlbefinden zu priorisieren. Während sie Kerzen herstellte, um sich zu beruhigen, sah sie eine Gelegenheit für ihr nächstes Geschäft. Sie ist wieder im Unternehmertum tätig, mit ihrem Unternehmen Scent & Fire – aber dieses Mal steht die Erhaltung ihrer psychischen Gesundheit gleichwertig neben ihren Geschäftszielen.
Wenn du mit den gewaltigen systemischen und gesellschaftlichen Herausforderungen konfrontiert bist, die zu hohem Stress oder Angst führen, rät Nora, dich auf die Dinge zu konzentrieren, die du kontrollieren kannst. „Wir wurden indoktriniert, zu denken, dass Erfolg Skalierung bedeutet, und das musst du nicht tun“, sagt sie. „Du kannst wählen, wie Erfolg für dein Unternehmen aussieht.“
Nora fordert ihre Klient:innen auf, eines ihrer größten Assets – Kreativität – zu nutzen, um nicht nur Produkte oder Marketingkampagnen zu gestalten, sondern auch die Beziehung zu ihrem Unternehmen zu definieren. Und die Forschung unterstützt diesen Ansatz. Eine englischsprachige Studie ergab, dass Unternehmer:innen, die von intrinsischen Werten getrieben werden, eine bessere psychische Gesundheit aufweisen als diejenigen, die von extrinsischen Werten wie Geld motiviert sind.
Wir wurden indoktriniert, zu denken, dass Erfolg Skalierung bedeutet, und das musst du nicht tun. Du kannst wählen, wie Erfolg für dein Unternehmen aussieht.
Nora Rahimian
Zusätzlich dazu, ein Geschäftsmodell und einen Arbeitsstil zu gestalten, der zu deinem Lebensstil passt, schlägt Sherry vor, proaktiv verschiedene Aspekte des Wohlbefindens zu priorisieren – wie die Suche nach Gemeinschaft, die Priorisierung grundlegender Bedürfnisse wie Schlaf und die Stärkung deines Geistes – um psychischen Gesundheitsproblemen vorzubeugen. „Die beste Strategie zur Vermeidung von Burnout ist neurologische Diversifizierung“, sagt Sherry und schlägt Aktivitäten wie Yoga, handwerkliche Tätigkeiten oder das Lösen von Rätseln als Beispiele vor. „Du musst aufhören, auf den Bildschirm zu starren.“
Und denk daran, es ist präventive Medizin. „Selbstfürsorge sollte keine Strategie zur Genesung sein, die dich unterstützt, wenn du ausgebrannt bist“, sagt Chivon. „Es ist Teil des Alltags – es ist nichts, was du dir wieder aneignen musst, wenn du am Boden bist.“
Ein Blick in die Zukunft
Ein Jahr nach Beginn der Pandemie gab es Anzeichen, dass sich die Wogen bereits zu glätten begannen.
Ein kanadischer Bericht, der das Wohlbefinden von Unternehmer:innen und die Sichtweise von Gründer:innen zwischen November 2020 und Mai 2021 verglich, ergab einen deutlichen Anstieg des Optimismus, wobei 70 % angaben, sich am Ende der Studie „unter Kontrolle“ zu fühlen. „Ich denke, dass sich das Ethos verändert“, sagt Sherry. „Der Zugang verändert sich erheblich. Ich bin wirklich optimistisch, dass einige dieser Barrieren verschwinden werden.“
Ein entscheidender Schritt zur Aufrechterhaltung dieses positiven Trends besteht darin, das Narrativ darüber, wie „gutes Unternehmertum“ aussieht, umzugestalten. „Ein großer Teil des Drucks, den ich bei Unternehmer:innen sehe, ist die Erwartung, es perfekt zu machen“, sagt Nora. Eine realistische Sicht auf das Unternehmertum in der Gesellschaft und das Sichtbarmachen von Geschichten über Herausforderungen helfen, die Gespräche über psychische Gesundheit in dieser Gemeinschaft zu normalisieren.
Für Monisha half es, sich auf die Dinge zu konzentrieren, die sie kontrollieren konnte – ihre eigene Umgebung und ihr Arbeitsleben – um Raum für Wohlbefinden zu schaffen. Ihre psychische Gesundheit zu priorisieren ist keine Ablenkung von ihren anderen Prioritäten – sie hat den gegenteiligen Effekt und gibt ihr die Grundlage, um für ihr Unternehmen, ihr Team und sich selbst da zu sein.
„In einer Zeit, in der wir Dinge nur sehr begrenzt kontrollieren können“, sagt Chivon. „Wird klar, dass wir sehr wohl kontrollieren können, wie wir uns um uns selbst kümmern.“
Bilder von DatalandsZusätzliche Recherchen von Jane Zhang